Vortrag von Jan Gildemeister: Eine Armee im Kampfeinsatz - Militarisierung national

Input bei Tagung „Welches Zeichen will die Ev. Kirche setzen?
Ein Zwischenruf“ aus Potsdam am (18./)19. März 2017

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer,
angefragt wurde ich zu dieser Tagung für eine Analyse des Weißbuches zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr, das die Bundesregierung im Juli 2016 verabschiedet hat. Aufgrund der Überschrift für meinen Input im Tagungsprogramm erwarten Sie vermutlich eine Kommentierung des Wandels der Bundeswehr zu einer Armee im Kampfeinsatz. Und in der aktuellen politischen Diskussion geht es primär um die Höhe der Militärausgaben. Dies ist auch Thema der eben vorgesellten Potsdamer Erklärung des Vorstands der Martin-Niemöller-Stiftung.

Die drei Themen hängen zusammen und ich werde in den nächsten 15 Minuten versuchen, auf folgende Aspekte einzugehen:
- Im Weißbuch werden zwar zunächst die Grundlagen und Ziele der deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Allgemeinen beschrieben. Konkreter wird es aber nur im zweiten Teil, wenn es um Aufrüstung und die Zukunft der Bundeswehr geht.
- Im Streit um die Höhe des Wehretats geht es vordergründig um die Frage, inwieweit Deutschland den Erwartungen von USA und NATO entgegen kommt, den Wehretat auf 2 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) anzuheben und damit letztlich den europäischen Teil der NATO militärisch zu stärken. Dahinter steckt aber letztlich auch die Frage, was mit dem Geld geschehen soll - und damit sind wir bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr.

Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr
Zunächst komme ich aber zum Weißbuch der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr. An der Erstellung waren neben dem Verteidigungsministerium auch andere Ressorts beteiligt, insbesondere das Auswärtige Amt. Es soll den Rahmen für alle Ministerien beschreiben, d.h. beispielsweise auch für die Entwicklungspolitik. Ob das Auswärtige Amt (AA) dies letztlich akzeptiert, ist fraglich. In Kürze wird das AA Leitlinien der Bundesregierung für die Außenpolitik vorlegen, von denen wir allerdings wohl keine eindeutigen Aussagen erwarten dürfen.
Beim Weißbuch gab es die Einladung beispielsweise an Kirchen und NRO, sich an dem Entstehungsprozess zu beteiligen, aber es ist zu bezweifeln, dass dies den Text grundlegend beeinflusst hat. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Weißbuchs nach Beginn der parlamentarischen Sommerpause 2016 legt vielmehr nahe, dass eine breite öffentliche Diskussion nicht erwünscht war.

Das Weißbuch besteht aus zwei Teilen:
Im ersten geht es grundsätzlich um die Außen- und Sicherheitspolitik, um die Situation in der Welt, um die Werte, die es zu verteidigen gilt, und um die Instrumente dafür, auch die zivilen. Da steht einiges sinnvolle und unterstützungswerte. So wird die Bedeutung von nicht militärischer Konfliktbearbeitung auch von präventivem und kohärentem Regierungshandeln beschrieben. Zugleich wird mit Hinweis auf die gewaltsame Interessenspolitik auf der Krim und im Osten der Ukraine neben der weiter bestehenden Bereitschaft zur Partner- die Gegnerschaft zu Russland reaktiviert. Deutschland erhebt zudem einen Führungsanspruch in Europa.
Problematisch ist ferner, dass die verschiedenen Instrumente miteinander vernetzt werden sollen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Bundeswehr für alles mit zuständig ist, sei es für die innere Sicherheit oder die Sicherheit im Cyberraum. Nach diesem sog. vernetzten Ansatz werden auch Aktivitäten von NRO und Wirtschaft staatlicherseits eingeplant. Es geht um eine umfassende Zusammenarbeit für das Handeln im gesamten Krisenzyklus, also auch bei Einsätzen der Bundeswehr zur sog. robusten Friedenserzwingung.
Problematisch sind weiter einige Ziele der Bundesregierung. So geht es ihr um die Sicherheit Deutschlands, darum "unseren Wohlstand" zu sichern, um sichere Handelswege, den Zugang zu Rohstoffen und den Schutz der EU-Außengrenzen.
Zudem fehlt im Weißbuch manches für die Analyse wichtige. So werden die tieferliegenden Ursachen für die treffend beschriebenen Konflikte in der Welt ausgeblendet: Welche Rollen spielen die ungerechte Struktur der Weltwirtschaft sowie die militärischen Interventionen und Drohneneinsätze vor allem der USA, welche Bedeutung hat der Kampf um Rohstoffe etc.? Misserfolge militärischer Interventionen, insbesondere der Krieg in Afghanistan, werden bestenfalls beschönigend erwähnt, aber nicht analysiert.
Im zweiten Teil des Weißbuchs erfolgt dann eine Engführung auf die Bundeswehr und Aufrüstung.
Das von den NATO-Mitgliedern beschlossene Ziel, dass die Staaten ihren Wehretat auf 2% ihres BIP anheben, wird im Weißbuch erwähnt, allerdings unter den Vorbehalt der Finanzierbarkeit gestellt. Faktisch wurden die Mittel im Haushaltstitel 14 seit 2016 wieder angehoben 2017 sind es 37 Mrd., bis 2029 sind 50 Mrd. Euro vorgesehen. 2% des BIP wären bei der jetzigen Wirtschaftsleistung 60 Mrd. Euro. Es gibt keinen einzigen Bereich, in dem das Weißbuch so konkret wird, wie bei der Rüstung. Dort geht es um den Erhalt strategisch verteidigungsindustrieller Schlüsseltechnologien in Deutschland, Europäisierung der Rüstungsindustrie mit Exportunterstützung, mehr Mittel für Rüstungsforschung und eine verstärkte Kooperation auf EU-Ebene.
Festgehalten wird im Weißbuch an der nuklearen Teilhabe Deutschlands im Rahmen der NATO und am Konzept einer nuklearen Abschreckung.
Die Bundeswehr ist nach dem Weißbuch ein außenpolitisches Mittel der Wahl - d.h. nicht nur in Ausnahmefällen einzusetzen. Nachdrücklich wird ihre bessere Ausstattung gefordert - entsprechend des für sie vorgesehenen breiten Aufgabenspektrums von Cybersicherheit, Pandemien-Bekämpfung über Inlands- bis zu Auslandseinsätzen, während in anderen Ressorts kein Aufwuchs vorgesehen ist. Um die Bundeswehr schneller im Ausland einsetzen zu können, soll durch eine Verfassungsänderung die Entscheidungsmacht des Parlamentes eingeschränkt werden.

Auslandseinsätze der Bundeswehr
Ich komme nun zum zweiten Aspekt meines Inputs, die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Es sind aktuell ohne die Beteiligung der Bundeswehr an der verstärkten NATO-Präsenz bei den osteuropäischen Mitgliedsstaaten 15 Einsätze mit insgesamt ca. 3.500 Soldaten. Die Bundeswehr beteiligt sich an Einsätzen der UN, der EU und der NATO. Nach dem Auslaufen des ISAF-Einsatzes in Afghanistan ist kein direkter Kampfeinsatz mehr dabei. Im Vordergrund steht die von der Bundeskanzlerin bereits vor einigen Jahren genannte Ertüchtigung von Partnern.

Im Folgenden möchte ich einen kurzen Überblick über die wichtigsten Einsätze geben:
- In etlichen Ländern wie Afghanistan, Mali, Somalia oder den Irak geht es um die Ausbildung und Ausrüstung von Sicherheitskräften. Im Irak sind es mit den kurdischen Peschmerga keine staatlichen Kräfte - wobei auch die in den genannten Ländern nicht gerade zu den Bewahrern von Menschenrechten und Demokratie zählen. In Afghanistan wird das Militär auch direkt in den Kämpfen unterstützt.
- In Syrien und im Irak unterstützt die Bundeswehr seit 2015 u.a. mit Luftaufklärung den Kampf von USA, Frankreich u.a. Staaten gegen den IS, ist also praktisch eine Kriegspartei.
- Im Mittelmeer ist die Bundesmarine am Kampf gegen Schlepper von Flüchtlingen beteiligt und an der Präsenz der NATO. Am Horn von Afrika soll sie die See- und Handels-Routen vor Piratenangriffen schützen.
- Im Kosovo, im Sudan und in der Westsahara beteiligt sich die Bundeswehr an Missionen, die den Erhalt eines Waffenstillstandes überwachen sollen, im Südsudan geht es um den Schutz der Zivilbevölkerung.

Die verschiedenen Missionen müssen sicherlich politisch unterschiedlich bewertet werden, verdienen aber jeweils einer kritischen Analyse. Mali gilt beispielsweise als der gefährlichste Einsatz. Die Soldaten sind in erster Linie mit dem Selbstschutz beschäftigt, die Zivilbevölkerung hat keinen Nutzen von ihrer Präsenz. Zudem wird in Mali die Anwesenheit von französischen Truppen unterstützt, denen es wahrscheinlich um den Zugang zu Rohstoffen geht. Dagegen zeigen die Aktivitäten der Partner vom christlichen Friedensdienst Eirene, dass trotz einer sehr fragilen Sicherheitslage in Mali zivil und gewaltfrei noch einiges positive bewirkt werden kann.

Schlussbewertung:
Ich möchte enden mit einer Einschätzung, inwieweit wir angesichts des Weißbuches und der laufenden Auslandseinsätze der Bundeswehr von einer zunehmenden Militarisierung der deutschen Außenpolitik sprechen können.
Das Instrumentarium deutscher Außen- und Sicherheitspolitik ist breiter, die Bedeutung von Diplomatie, ZKB und Entwicklungspolitik sind unumstritten. Im Kern ist sie aber weit von einer Friedenspolitik entfernt. Sie ist letztlich vorrangig geleitet von wirtschaftlichen und machtpolitischen Interessen und bereit, zu deren Durchsetzung auch die Bundeswehr einzusetzen. Wer mag, kann dies als "Militarisierung national" - so der Untertitel meines Inputs - bezeichnen.
Damit ist die Außenpolitik im Kern weit entfernt von den Prioritäten, die nach der kirchlichen friedensethischen Diskussion notwendig sind. Dies zeigt sich, wenn man das Weißbuch an den Eckpunkten des EKD-Friedensbeauftragten und des evangelischen Militärbischofs von 2015 misst.
Aber Vorsicht: Es gibt auch erfreuliche Ansätze in der deutschen Außenpolitik, mit schwarz-weiß-Malerei ist uns nicht gedient.

Anhang: