Horst Scheffler: Die gewaltfreie Reformation ?

„Non vi, sed verbo“ - „Nicht mit Gewalt, sondern durch das Wort“ - „Allein die freie Kraft des biblischen Wortes entfaltet ihre Wirkung, niemals die Gewalt“ : So hätten die Losungsworte einer gewaltfreien Reformarion lauten können. Und tatsächlich hat es diese Losungen gegeben, im Frühjahr 1522, nachdem Luther vom Rat der Stadt nach Wittenberg zurück gerufen wurde.
Im Jahr 1521 auf dem Reichstag zu Worms war über Luther mit dem Wormser Edikt die Reichsacht verhängt worden. Deshalb lebte er inkognito als Junker Jörg auf der Wartburg und arbeitete an der Übersetzung der Bibel. In Wittenberg waren unterdessen Unruhen entstanden. Mit der Reformation ging es vielen Menschen zu langsam voran, anderen wiederum zu schnell. Ein Antreiber war Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt, eigentlich ein Weggefährte Luthers, der den Gottesdienst erneuern und die Heiligenbilder und die Kirchenmusik abschaffen wollte. Er bekämpfte den Zölibat und forderte die Feier des Abendmahls in beiderlei Gestalt, d. h. unter Austeilung von Brot und Wein an die Gemeinde. Bereits zum Weihnachtsfest 1521 feierte Karlstadt die erste evangelische Messe auf Deutsch. Nach seiner Heirat mit Anna von Mochau zu Jahresbeginn 1522 kam es zu Tumulten und Ausschreitungen bei der Beseitigung der Bilder aus den Kirchen.
Luther folgte dem Hilferuf der Stadt, kehrte nach Wittenberg zurück gegen das ausdrückliche Votum seines Beschützers, des Kurfürsten Friedrich des Weisen, und predigte im März 1522 ab Sonntag Invokavit an acht Tagen nacheinander. Diese Invokavit – Predigten Luthers hätten zur grundlegenden Botschaft einer gewaltfreien Reformation werden können. Luther gelang es, die Menschen von der Gewalt weg hin zu gewaltfreiem Denken und Handeln zu führen. In der zweiten Predigt erläuterte er: „Summa summarum predigen will ichs, sagen will ichs, schreiben will ichs. Aber zwingen, dringen zu Gewalt will ich niemanden. Denn der Glaube will willig, ungenötigt angezogen werden. Nehmt ein Exempel von mir. Ich bin dem Ablass und allen Papisten entgegen gewesen, aber mit keiner Gewalt. Ich hab allein Gottes Wort getrieben, gepredigt und geschrieben, sonst habe ich nichts getan.“
Leider hat Martin Luther diese gewaltfreie Sicht nicht durchgehalten. Im Jahr 1529 verglich er sein Wirken mit dem seines Mitstreiters Philipp Melanchthon in der Vorrede zu dessen Kolosserbriefauslegeung: „Ich habe wirklich selbst Magister Philipps Bücher lieber als die meinen. … Ich bin dazu geboren, dass  ich mit den Rotten und Teufeln kriegen und zu Felde liegen muss, darum sind viele meiner Bücher stürmisch und kämpferisch. Ich muss Klötze roden, Dornen und Hecken weckhauen, die Pfützern ausfüllen und ich bin der grobe Holzhauer, der die Bahn brechen und zurichten muss. Aber Magister Philipp kommt fein und still daher, baut und pflanzt und begießt mit Lust, so wie ihm Gott seine Gaben reichlich gegeben hat.“
Wie schaffen wir es, im Blick auf das Reformationsgedenken im Jahr 2017 gleich Philipp Melanchton fein und still, eben gewaltfrei, zu bauen, zu pflanzen und zu begießen?

Horst Scheffler
Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF)