Holger Teubert: Evangelische Freikirchen als Friedensstifter

Die Mennoniten entstanden im 16. Jahrhundert und werden als „linker Flügel“ der Reformation bezeichnet. Aber auch die anderen 14 Glaubensgemeinschaften der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) betrachten sich als Teil und Miterben der Reformation, obwohl sie erst in nachreformatorischer Zeit aufkamen. Die evangelischen Freikirchen verstehen sich als Erneuerungsbewegungen, die sowohl von den Vorreformatoren, etwa Petrus Valdes und Jan Hus, wie auch von Martin Luther, Huldrych Zwingli, Johannes Calvin und anderen Reformatoren in Europa geprägt sind. Viele Freikirchen wurden zudem durch den täuferischen Flügel der Reformation stark beeinflusst.
Manche Errungenschaften der modernen Gesellschaft sind auf die Reformation zurückzuführen, „und die Freikirchen hatten entscheidenden Anteil daran“, heißt es in der 2016 von der VEF herausgegebenen „Botschaft 500 Jahre Reformation“. So ist eine der Wurzeln des modernen Freiheitsverständnisses – vor allem in Nordamerika – von baptistischen Theologen wie Roger Williams ausgegangen. Diese haben dazu beigetragen, „dass Religions- und Gewissensfreiheit als Grundrecht für alle deklariert wurde“. Die Heilsarmee engagierte sich bereits im 19. Jahrhundert für eine gesellschaftliche Gleichstellung der Frauen und der Einsatz für Menschenrechte hat in den Freikirchen eine lange Tradition, wie das Wirken Martin Luther Kings oder der Einsatz der Mennoniten für den Frieden zeigen.
In der 2015 veröffentlichten „Theologische Orientierungshilfe der VEF zur Friedensethik“ wird hervorgehoben, dass die Freikirchen Partei für Benachteiligte in der Gesellschaft ergreifen und sich für Gerechtigkeit und Frieden einsetzen wollen. Sie möchten unter anderem „Frieden stiften“ durch Entwicklungshilfe und Austauschprogramme, durch Förderung einer gerechten und nachhaltigen Wirtschaft sowie durch Unterstützung von Friedensinitiativen auf internationaler und lokaler Ebene. Sie machen auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam und wollen durch diakonisches Handeln denen helfen, die in der Gesellschaft am Rand stehen um dadurch den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern.
Das gilt auch für die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten, die ebenfalls als „Friedensstifter“ wirken möchte. Heute hat die weltweit organisierte Kirche über 20 Millionen Mitglieder in 215 Ländern. Während des Amerikanischen Bürgerkriegs (1861- 1865) organisierte sich die Kirche. Damals gab es nur 3.500 Adventisten, die alle in den Unionsstaaten (Nordstaaten) der USA lebten. Sie waren entschiedene Gegner der Sklaverei. Manche Adventisten arbeiteten aktiv bei den Abolitionisten mit, um Sklaven auf der Flucht
aus den Südstaaten zu helfen. Doch sie lehnten es aufgrund ihrer christlichen Überzeugung ab, mit Waffengewalt die Beendigung der Sklaverei zu erzwingen. Die Unionsregierung erkannte sie als „Nichtkämpfer“ an, sodass wehrpflichtige Adventisten als Nichtkombattanten einen waffenlosen Sanitätsdienst leisten konnten. Doch es kam vor, dass Adventisten dies von untergeordneten Offizieren verweigert wurde, sodass sie gegen ihren Willen zur kämpfenden Truppe kamen. Wer sich weigerte, die Waffe in die Hand zu nehmen, wurde mit Kriegsgericht und Erschießung gedroht. In solch einer Situation blieb es der persönlichen Gewissensentscheidung des Einberufenen überlassen, ob er den Befehlen seiner Vorgesetzten gehorcht.
Diese Haltung zum Militärdienst prägt bis heute Adventisten. Im Ersten Weltkrieg hielten die adventistischen Kirchenleitungen in den USA, in Großbritannien und in anderen Ländern am Nichtkämpferstandpunkt fest. In England leisteten rund 130 wehrpflichtige Adventisten Nichtkämpferdienste. Einige von ihnen kamen in das berüchtigte Gefängnis in Dartmoor, wo sie schwere Misshandlungen erlitten. In Russland wurden etwa 500 Adventisten zur Armee einberufen. Die meisten waren Nichtkämpfer. Etwa 70 von ihnen kamen wegen ihrer Weigerung, eine Waffe in die Hand zu nehmen, ins Gefängnis oder in Arbeitslager. Die adventistische Kirchenleitung in Deutschland sowie in Österreich-Ungarn empfahl dagegen in einem Rundschreiben vom 2. August 1914 ihren wehrpflichtigen Mitgliedern „unsere militärischen Pflichten freudig und von Herzen erfüllen“ und „von den Kriegswaffen Gebrauch“ zu machen. Nicht alle Adventisten waren mit dieser Haltung einverstanden. Wer allerdings den Kriegsdienst mit der Waffe verweigerte, den erwarteten harte Konsequenzen. Von den in Deutschland im Ersten Weltkrieg zu Festungshaft verurteilten bekannten 20 Adventisten starben aufgrund von Misshandlungen fünf im Gefängnis oder bald nach ihrer Entlassung.
1920 zogen die verantwortlichen deutschen Freikirchenleiter ihre Erklärungen zum Kriegsdienst zurück und bedauerten sie. 1935 wurde in Deutschland die allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt. Die deutsche Freikirchenleitung betonte dazu in einer Stellungnahme, dass Adventisten „als Förderer des Friedens“ und in dem „Bestreben, überall in Liebe zu helfen und Wunden zu verbinden ... eine Verwendung im Sanitätsdienst“ vorziehen. Es wurden für junge männliche Adventisten „Rot-Kreuz-Kurse“ in der Hoffnung organisiert, dass bei einer späteren Einberufung die Absolventen den Sanitätseinheiten zugeteilt werden. 1942 waren nach einer von der Freikirche erstellten Statistik 239 Pastoren und 3.496 Gemeindemitglieder zur deutschen Wehrmacht einberufen worden. Davon leisteten 508 Sanitätsdienst, also jeder siebte. Trotz Rot-Kreuz-Kurs wurde vielen Adventisten verwehrt, Sanitäter zu werden. Dennoch konnten die meisten Militärdienst leisten, ohne von der Waffe Gebrauch machen zu müssen. Nach Kriegsende wurde von der Freikirche erneut eine Umfrage durchgeführt. Danach haben 95 Prozent der Pastoren und knapp 87 Prozent der zum Militärdienst eingezogenen Gemeindemitglieder keinen Dienst mit der Waffe geleistet, bzw. keine Waffe eingesetzt. Zwei Adventisten verweigerten im Zweiten Weltkrieg den Waffendienst und bezahlten ihre Haltung mit dem Tod.

Da es in der Bundesrepublik Deutschland keinen waffenlosen Sanitätsdienst gibt, empfahl die westdeutsche Freikirchenleitung der Siebenten-Tags-Adventisten ihren wehrpflichtigen Mitgliedern von ihrem Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen Gebrauch zu machen und Zivildienst zu leisten. Das taten fast alle wehrpflichtigen Adventisten. In der DDR gab es keinen Zivildienst, sondern nur die Möglichkeit, als waffenlose Bausoldaten zu dienen. Die meisten wehrpflichtigen Adventisten gingen zu den Bausoldaten, obwohl sie dadurch eine Reihe von beruflichen Nachteilen hatten.
Doch auch darüber hinaus verstehen sich Adventisten als Friedensstifter. Beim Völkermord in Ruanda kamen 1994 innerhalb von drei Monaten mindestens 800.000 Tutsi und gemäßigte Hutu ums Leben. Darunter befanden sich auch 225 adventistische Pastoren und etwa 10.000 Gemeindemitglieder. Es gab einzelne Adventisten, die unter Einsatz ihres Lebens Menschen retteten. Es gab aber auch Adventisten, die sich am Genozid beteiligten. 1997 ließ deshalb die Freikirchenleitung 500 ihrer Pastoren und Laienmitglieder zu Seminarleitern ausbildenden, die in allen rund 1.200 adventistischen Gemeinden im Land „Versöhnungsseminare“ durchführten, um in einem offenen Dialog das Vertrauen zwischen den rivalisierenden Stämmen zu fördern. Die Seminare stießen auf eine positive Resonanz, sodass sie auf Bitte der Regierung auch öffentlich zugänglich wurden. Nach jahrelangem Bürgerkrieg auf der zu
Papua-Neuguinea gehörenden Insel Bougainville hatten 1998 auch Adventisten am Zustandekommen eines Friedensabkommens mitgewirkt. Als im Jahr 2000 auf den Salomonen Unruhen ausbrachen, wurde im Auftrag der Regierung der adventistische
einheimische Pastor Lawrence Tanabose als Vermittler eingeschaltet, um einen Waffenstillstand der verfeindeten Milizen zu erreichen.
Seit ihrer Gründung im 19. Jahrhundert setzt sich die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten für die Förderung und den Erhalt der Religionsfreiheit ein. Es geht dabei um gegenseitigen Respekt und Frieden zwischen den Konfessionen und Religionen.
Armutsbekämpfung geschieht auch durch Bildung. Die Freikirche unterhält mit über 8.200 Schulen – von der Grundschule bis zur Universität – das größte protestantische Bildungswerk weltweit. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Erhaltung der Gesundheit durch Krankenhäuser und Tageskliniken sowie Gesundheitsaufklärung und -erziehung. Von den weltweit 287.121 Angestellten der Freikirche (2016) sind 18.110 ordinierte Pastoren, 123.945 arbeiten im adventistischen Gesundheitswesen und 139.182 sind im adventistischen Bildungsbereich tätig. Benachteiligten und Menschen in Not steht die Adventistische Entwicklungs- und Katastrophenhilfe ADRA bei. Sie besteht aus einem weltweiten Netzwerk von 134 Regionalbüros mit einheimischen Kräften, die Land und Leute kennen. Das Advent-
Wohlfahrtswerk unterhält Sozialeinrichtungen von Kindergärten, Waisenhäusern und Suppenküchen bis hin zu Suchtberatungsstellen, Altenheimen und Hospize.

Jede der 15 in der VEF vertretenen evangelischen Freikirchen hat ihre Schwerpunkte, um die Botschaft des Evangeliums von Jesu Christus durch Frieden stiften anschaulich und wirksam zu machen.

Holger Teubert ist Leiter des Referats Kriegsdienstverweigerung der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland
und Vertreter der VEF im Vorstand der EAK.