Jürgen Moltmann: Reformation „allein aus Glauben“: Die Täufer

Luther nannte sie „Schwärmer“, Historiker sprechen vom „linken Flügel der Reformation“: die Täufer. Ich denke, sie waren die einzige Reformationsbewegung „allein aus dem Glauben“. Sie nannten sich selbst „Kinder Gottes“. Ich spreche hier von den friedlichen Täufern, nicht vom Kampf um Münster 1534.

Wie kam es zu Reformationen? Nach reformatorischen Predigten und der Zustimmung des Volkes führten die Magistrate der Städte oder die Fürsten im Lande die Reformation der Kirchen und Schulen durch und beanspruchten damit die Kirchenhoheit. Diese Reformationen ereigneten sich in den Gesetzen und Traditionen des „Heiligen römischen Reiches deutscher Nation“. Das Christentum ist die Reichsreligion und das Sacrum Imperium ist das „tausendjährige Reich“ Christi.

Die Reformatoren blieben in dieser Tradition des Corpus Christianum. Nur die Täufer lehnten die Grundlagen der christlichen Staatsreligion ab: die Kindertaufe und den Wehrdienst. Sie lehnten den Schwertdienst ab, denn „Jesus verbietet die Gewalt des Schwertes“. Sie lehnten den Eid ab, „denn Jesus verbietet den Seinen alles Schwören“. Sie lehnten für sich die Teilnahme an weltlicher Obrigkeit ab, „denn es kann einem Christen nicht ziemen, Obrigkeit zu sein“. Diese Berufungen auf Jesus und seine Bergpredigt stehen im Schleitheimer Bekenntnis von 1527, das Michael Sattler als „brüderliche Vereinigung etlicher Kinder Gottes sieben Artikel betreffend“ verfasst hatte. Damit lehnten die Täufer für sich selbst die christliche Staatsreligion und das „Heilige Reich“ ab. Sie wurden von katholischen und protestantischen Obrigkeiten gemäß Reichsrecht verfolgt und galten als Ketzer des Glaubens und Feinde des Reiches.

Als Michael Sattler im Verhör in Rottenburg auch noch sagte: „Wenn der Türke kommt, soll man ihm keinen Widerstand leisten, denn es steht geschrieben: Du sollst nicht töten“, wurde die Gefahr öffentlich, die von den friedlichen Täufern ausging, denn sie hatten großen Zulauf im Volk. Darum war Michael Sattlers Hinrichtung in Rottenburg öffentlich und besonders grausam: Sie schnitten ihm die Zunge heraus, schmiedeten ihn auf einen Wagen, rissen ihm mit glühenden Zangen Fleisch aus dem Körper und verbrannten ihn auf dem Galgenbuckel außerhalb der Stadt am 20. Mai 1527. Seine Frau Margaretha widerstand allen Rettungsversuchen und wurde wenige Tage danach im Neckar ertränkt.

Michael Sattler war Prior des bekannten Klosters St. Peter im Schwarzwald. Er war ein theologisch und humanistisch hochgebildeter Mann. 1525 war er bei den aufständischen Bauern in Memmingen gewesen, dann schloss er sich in Zürich den Täufern an und missionierte in Oberschwaben. Er gewann viele Anhänger in Horb und Umgebung und taufte sie im Neckar. Seine Sendung lautete: „Die Christen sind ganz gelassen und vertrauen auf ihren Vater im Himmel ohn´ alle äußerliche weltlich Rüstung“. Wie Michael Sattler waren die Täufer die Märtyrer der Reformationszeit. Eine ihrer Hymnen beginnt: „Wie lieblich ist Heilgen Tod…“ Menno Simons und die „Mennoniten“ trugen und tragen diese Reformationsbewegung bis heute weiter.

Der Lutherische Weltbund hat vor einigen Jahren die Mennoniten um Vergebung für die Verdammungen und Verfolgungen der Reformationszeit gebeten. Die Geste muss Konsequenzen haben: Wir müssen die Confessio Augustana Art. 16 von 1530 revidieren oder einen Vermerk beschließen, dass wir die Verdammungen nicht mehr aufrechterhalten. Sonst kann kein lutherischer Kandidat auf das augsburgische Bekenntnis ordiniert werden. Schließlich nennen wir sie nicht mehr „Schwärmer“, sondern „historische Friedenskirchen“!

Bei Jesaja 2,4 steht: „Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“ Die Lutheraner machen aus den Schwertern „christliche Schwerter“, um „rechtmäßige Kriege zu führen“ (CA16). Die Täufer zogen sich auf die Bruderhöfe zurück und wollten nur noch mit „Pflugscharen“ zu tun haben. Und wer macht aus Schwertern Pflugscharen? Kriegsindustrie in Friedensindustrie umgestalten und aus Stahlhelmen Kochtöpfe machen, wie wir es 1946 taten. Das Reich Christi ist nicht nur ein friedliches Reich (peacable kingdom), sondern zuerst ein friedenschaffendes Reich (peacemaking kingdom). Jesus preist nicht die „Friedlichen“ selig, sondern die „Friedensstifter“ (eireno poesis).

Professor em. Dr. Jürgen Moltmann ist evangelischer Theologe und Buchautor.