Predigt im Gottesdienst anlässlich der 50-Jahr-Feier der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden, 28. September 2018

Predigt von im Gottesdienst in Bonn von  Bischöfin i.R. Bärbel Wartenberg-Potter, Köln

Friede sei mit Euch!
Liebe Geschwister!

 1.
50 Jahre Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF)! Wir feiern ein Beharrlichkeitsfest, an dem viele von uns teilgenommen haben. Glückwunsch an uns alle zu diesem schönen wichtigen Gemeinschaftsprojekt!

Zu diesem denkwürdigen Festtag hat mich ein Satz inspiriert, den ich in der Friedensarbeit kennen gelernt habe. Er lautet: Erinnere die Zukunft!
Ein paradoxer Satz! Und doch ist es biblische Weisheit, die uns lehrt: Die Zukunft, die gerechte, erwächst aus der erinnerten Erfahrung des Vergangenen. Nicht ausschließlich natürlich, aber keinesfalls ohne sie. Erinnern wir die Zukunft!

2.
Eine erste Erinnerung:

Als im Jahr 1983 in Vancouver in Kanada die 6. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) stattfand, befand sich die Menschheit auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Mit der massenhaften Herstellung und Stationierung der Atomraketen in Ost und West hatten die Großmächte die bewohnte Erde an den Rand der totalen Vernichtung gebracht. Jederzeit und überall konnte sich die Katastrophe abspielen Es brannte uns auf den Nägeln in Vancouver, die Abrüstung in den Vordergrund der Vollversammlung zu stellen. Peace first, Frieden zuerst.

Dann kam die Bergarbeiterfrau Domitilla de Chungara aus Bolivien, in Gummischlappen und einem Poncho trat sie vor die Vollversammlung und sprach über die maßlose Armut und Rechtlosigkeit in ihrem Land, nach dem Motto: „Die Bombe fällt vielleicht morgen, unsere Kinder aber verhungern heute.“ Das Gerechtigkeitsthema trat greifbar und unmissverständlich in den Vordergrund.

Wir fürchteten den Riss zwischen Nord und Süd in der Vollversammlung.

Doch dann klärte uns eine zierliche junge Frau, Darlene Keju, aus den Marshall Inseln im Pazifik auf, wie viele deformierte lebensunfähige Embryonen bei ihnen geboren werden, seit die Atombombentests der Amerikaner durchgeführt werden. Wie viele Tiere, Pflanzen, das Meer und das Land für immer verseucht sind. Ihre gesamte Lebenswelt war für immer verloren.

Für alle wurde sichtbar: Der Friede, die Gerechtigkeit, die Schöpfung - alle drei waren schwer beschädigt und bedroht wie niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit.  Wer konnte da noch in den Wettkampf um das wichtigste Thema eintreten?

Da geschah in Vancouver ein Wunder: Aus dem Zuhören und Argumentieren, dem Beten und den Liedern im Gottesdienstzelt erwuchs plötzlich die Formel, die die Vollversammlung zu einen vermochte: der Bund für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Es wurde klar: Die gesamte Erde und die Menschheit waren bedroht durch die Anmaßung der Menschen, die Schöpfung und die ganze Erde zu knechten und zu unterwerfen.

Daraus entstand der Entschluss: wir müssen unsere Arbeit in Gottes Weinberg arbeitsteilig verrichten, Hand in Hand, über die nationalen Grenzen und Konfessionen hinweg – und - aus der Mitte unseres Glaubens! Nicht nur von den ethischen Rändern her. Die Erde gehört Gott, Gott ist in ihr gegenwärtig! Uns ist sie anvertraut. Das „Einander-gerecht werden“ (sedaka) und „das umfassende Wohlergehen aller“ (shalom) sind die konkreten Pfeiler des Glaubens. Nichts weniger.

Selig sind, die Frieden stiften.
Selig, glücklich sind, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit.
Seht die Lilien auf dem Feld, die Vögel unter dem Himmel…Gott erhält sie.

(Bergpredigt Mt 5)

Im arbeitsteiligen Miteinander, nicht in heimlicher Konkurrenz sollte es weiter gehen - Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung - aus der Mitte unseres Glaubens. Christus ist unser Friede.

3.
Eine zweite Erinnerung:

Am Vorabend des 1.Weltkieges wollten Friedens-engagierte ChristInnen über die nationalen Grenzen hinaus einen „Weltbund für die Freundschaftsarbeit der Kirchen“ gründen.
In Konstanz trafen sich 80 Delegierte aus verschiedenen europäischen Ländern und den USA. Mitten hinein in ihre Beratungen traf die Nachricht von der Ausrufung des 1. Weltkrieges. Eiligst wurde ein Sonderzug organisiert, der die ausländischen Delegierten zurück über die holländische Grenze bringen sollte. Beim Abschied auf dem Kölner Hauptbahnhof, zwischen den Gleisen sozusagen, versprachen sich der Quäker Henry Hodgkin und der friedensengagierte deutsche Pfarrer Siegmund-Schultze in die Hand, die Friedensarbeit fortzusetzen durch die Gründung des „Internationalen Versöhnungsbundes“, der konsequent die Gewaltfreiheit thematisierte. In das Geschrei der Mobilmachung hinein setzten sie ein Hoffnungszeichen: Friede den Völkern. Freundschaft unter den ChristInnen!  Was für eine erschütternde Gleichzeitigkeit!

Die deutschen Kirchen und ihre Theologie hatten zum damaligen Zeitpunkt wenig oder gar nichts aufzuweisen, was man Friedenstheologie hätte nennen können. Das „süße Gift des Pazifismus“, wie eine Zeitung hämisch kommentierte, war noch nicht in die deutsche Theologie eingedrungen.

Der Name des oben genannten Friedrich Siegmund-Schultze, dem späteren ersten Sekretär des  „Weltbundes für die Freundschaftsarbeit der Kirchen“, ist im Bewusstsein von uns Heutigen vielfach – ganz zu Unrecht - vergessen: er war ein herausragender Pionier, der sein ganzes Leben dem Aufbau der ökumenischen Bewegung widmete,  und der der Frage der Einheit und der sozialen Gerechtigkeit nachging. Nach 1949 wandte er sich zuerst der Frage der Kriegsdienstverweigerung zu. Sein Name sollte neben Bonhoeffer unser theologisches Erbe prägen.

4.
Heute erinnern wir die Anfänge der Arbeit der „Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden“, über die heute noch viel gesprochen werden wird.
1968 wurde ein Dach gezimmert, das den vielen Friedens-Initiativen und -Ideen in Nachkriegsdeutschland Raum geben sollte. Eine Theologie des Friedens begann sich zu entwickeln, inspiriert von den weltweiten ökumenischen Geschwistern,  besonders den Friedenskirchen.

Theologische Gedankenarbeit und konkretes Engagement kamen zusammen: Bausteine für eine Friedenstheologie, Aufbaulager und  Kriegsdienstverweigerung, gewaltfreie Konfliktlösungen, Transformation von Konflikten, Schwerter zu Pflugscharen und Frieden schaffen ohne Waffen, Kampf dem Atomtod und Friedensdienste, um nur einige hier zu nennen. Die Devise war: Gemeinsam sind wir stärker. Und heute in dem Bundesschlussversprechen für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung.

5.
Gemeinsam sind wir stärker!

Heute an diesem Erinnerungstag leben wir in einer Welt, in der die Friedensbewegung ganz neue Stärke braucht. Denn die Kriegs- und Gewaltbereitschaft weltweit hat dramatisch zugenommen, von den Kleinwaffenexporten bis zur Drohung mit den Atombomben.

In einen Krieg aber sind wir hier und heute unmittelbar und persönlich bereits verwickelt: den Krieg gegen die Natur. Er ist in vollem Gange. Wir können die Schöpfung längst nicht mehr bewahren, sondern höchstens uns weniger an der weiteren Zerstörung beteiligen, an der Vermüllung der Meere, der Ausrottung der Bienen, der Massentierhaltung, dem Ausstoß des CO 2 durch billigste Flugreisen und bedenkenloses Autofahren.
Die Regierung hat ohne Scham die vertraglichen Pariser Klimaziele aus dem Regierungsprogramm gestrichen. Dabei sieht es ganz so aus, als ob wir auf eine neue „Heißzeit“ zugehen.

Vor uns türmen sich die Problemberge. Woher den Mut nehmen zum Weitermachen? Wie steht es um unseren Glaubensmut?

6.
Ich will hier eine biblische Geschichte erzählen, die mich schon oft fasziniert hat: Die Geschichte der bittenden Witwe.  

Lukas 18, 1-8 (in einer an einer Stelle angepassten Übersetzung von Luise Schottroff)

1. Er (Jesus) erzählte ihnen ein Gleichnis, damit sie lernten, andauernd zu beten und nicht zu verzweifeln.
2. Er sagte: es war einmal ein Richter in einer Stadt, der Gott nicht fürchtete und Menschen nicht achtete.
3. Und eine Witwe lebte in jener Stadt. Sie kam immer wieder zu ihm und sagte: Schaffe mir Recht gegen meinen Prozessgegner.
4. Aber für eine längere Zeit  wollte er nicht. Dann sprach er bei sich selbst: wenn ich auch Gott nicht fürchte und Menschen nicht respektiere -
5. weil diese Witwe da mich belästigt, werde ich ihr Recht verschaffen. Sonst kommt sie am Ende und schlägt mir „ein blaues Auge“ (BWP).
6. Da sagte Jesus: Hört, was der ungerechte Richter sagt!
7. Wird Gott etwa seinen Erwählten kein Recht verschaffen, die Tag und Nacht zu ihm schreien? Wird er nicht nachsichtig mit ihnen umgehen?
8. Ich sage Euch: Ganz schnell wird er ihnen Recht verschaffen!
Nur - wenn der Menschensohn kommt, wird er überhaupt Treue zu Gott auf der Erde vorfinden?
(Übersetzung Luise Schottroff, Die Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2005,250)

Eine wunderliche Geschichte! Jesus lehrt seine JüngerInnen, ausdauernd zu beten und nicht zu verzweifeln. Wir sind gemeint!

In der Tora, den Weisungen der Hebräischen Bibel, standen die Witwen und Waisen, weil ohne männlichen Schutz, unter dem besonderen Schutz des göttlichen Rechtes.[1]
Der Witwe geschieht ein doppeltes Unrecht: sie bekommt vermutlich ihren Anteil am Erbe nicht, was für sie bittere Armut bedeuten kann. Und der Richter tut seine Arbeit nicht– Witwen besonders zu schützen. Er fürchtet Gott nicht, d.h. konkret: er hält sich nicht an Gottes Weisungen/Gebote, denen gemäß er den Schwachen helfen muss.[2]

Die Witwe gibt aber keine Ruhe. Es geht um ihre Existenz.  Sie hat wohl schon x-mal vergeblich an den Richter appelliert. Sie kommt wieder und wieder, weiß wohl um das Recht, das ihr gemäß der Tora zusteht. Sie ist beharrlich, widerständig. Sie ist laut und wütend, voll gerechten Zornes, vielleicht schreit sie, fällt aus der Rolle und macht richtig Radau.

Der Richter redet jetzt mit sich selbst: „Diese Witwe ist ‚a pain in the neck‘. Sie wird noch Aufsehen in der Stadt erregen mit ihrem Lärm. Vielleicht kommt sie und schlägt mir noch ein blaues Auge“ (so kann dieser Satz übersetzt werden).
Ja und dann? Dann können alle Leute den peinlichen Tatbestand sehen, dass er nicht seiner wichtigsten Pflicht als Richter nachkommt, den Armen zu helfen.

Merken wir auf: Wenn etwas in die Öffentlichkeit dringt, (über Waffenexporte, geheime Militäreinsätze), wenn dem Unrecht die Maske vom Gesicht gerissen wird,  wenn die Mächtigen nicht mehr ihr Gesicht wahren können,  dann sind sie bald am Ende.

Im Gegensatz zu diesem ungerechten Richter handelt Gott anders. Er wird denen, die unablässig, z.B. schon 50 Jahre lang für den Frieden schreien, beten und nicht verzweifeln, einmal Recht verschaffen.
Tag und Nacht waren wir in der Friedensarbeit unterwegs, für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Atomraketen wurden aus Deutschland weggebracht, die Berliner Mauer zerbrach, Mandela kam aus dem Gefängnis, die Kernkraftwerke wurden abgeschaltet. Dazu haben wir beigetragen mit unserem Geschrei.

Die Witwe ist ein Beispiel der Beharrlichkeit, des Widerstands gegen die Unrechtsvertreter; gegen die, die heute mit militaristischer, nationalistischer Logik Gott und die Menschen nicht fürchten.

Wie man den Tatbestand des „Blaues-Auge-Schlagens“ pazifistisch deuten kann, weiß ich nicht.  Es war schlicht nicht lady-like. Das hat man uns Frauen damals bei der Aktion „Kauft keine Früchte der Apartheid“ auch gesagt, als wir vor der Deutschen Bank protestierten. Und es stimmt immer noch, was Wolf Biermann einmal sang: „Weil solche wie du entschieden zu kurz gehen, gehen andere eben ein bisschen zu weit.“

Liebe Friedensmenschen, es geht weiter …mit den Protesten, Plakaten, Recherchen, Unterschriftaktionen, konkretem Engagement in der Einen Welt.  Wir sind unverzichtbar. Unablässig beten und nicht verzweifeln sollen wir, damit „der Menschensohn, wenn er kommt, und - er ist ja bereits unter uns - die Treue zu Gott auf der Erde findet.“

Auf einen Zettel schreiben Sie sich zum Schluss vielleicht diese kleine Geschichte:
„Vor dem Weißen Haus in Washington steht Tag für Tag ein einzelner Demonstrant und protestiert. Fragt ihn jemand: „Wollen Sie so die Welt verändern?“ „Nein“ sagt er, „ich stehe hier, damit die Welt mich nicht verändert“.

Amen.

 

 

[1] Im Folgenden lehne ich mich an die Gleichnisauslegung von Luise Schottroff an, Gleichnisse Jesu , Gütersloh 2005 250-255

[2] „…ihr haltet Gericht nicht im Namen von Menschen, sondern in Gottes Namen… Lasst die Furcht Gottes bei euch sein, haltet und tut das Recht; denn bei Gott…ist kein Ansehen der Person noch Annehmen von Geschenken“ 2.Chr.19,6-7