Resolution der AGDF-Mitgliederversammlung 2025. Wege aus der Gewaltspirale – für eine glaubwürdige Friedenspolitik
Während der AGDF-Mitgliederversammlung in Hamburg findet wenige Kilometer entfernt das Bundeswehr-Manöver "Red Storm Bravo" statt – eines von mehreren Manövern in diesem Jahr. Zuvor hielten Russland und Belarus ein gemeinsames großes Manöver unter dem Titel Sapad (Westen) ab. Russische Drohnen fliegen weit in polnisches Gebiet, der Luftraum der Ostseeanrainer wird regelmäßig verletzt. Es häufen sich zudem Angriffe auf kritische Infrastrukturen von demokratischen Institutionen. Das erinnert uns daran, dass der russische Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 mit einer ähnlichen Übung und einer Reihe von hybriden Angriffen im Vorfeld begann – und mit ihm eine neue Ära der Kriege und Aufrüstung.
Wir erleben weltweit eine nationalistische und antidemokratische Machtpolitik und eine Zunahme an Kriegen und Aufrüstung:
- Seit 1945 gab es weltweit noch nie so viele bewaffnete Konflikte wie 2025. Sie fordern hunderttausende Todesopfer und zwingen hunderte Millionen Menschen zur Flucht.
- Die regelbasierte internationale Ordnung steht unter massivem Druck. Das Völkerrecht wird vielerorts gebrochen. Krieg und militärische Stärke werden zum Mittel der Wahl in (politischen) Auseinandersetzungen.
- Hybride Kriegsführung, digitale Repressionstechnologien und autonome Waffensysteme wie Drohnen verwischen immer stärker die Grenze zwischen Militär und Zivil, unterlaufen kriegs- und völkerrechtliche Schutznormen, bedrohen die menschliche Sicherheit und richten sich insbesondere gegen demokratische Institutionen und Zivilgesellschaften.
- Die weltweiten Militärausgaben steigen laut dem Forschungsinstitut SIPRI aktuell so stark an wie seit Ende des Kalten Krieges nicht mehr. Damit wächst die Gefahr weiterer Kriege und in einigen Staaten die Bereitschaft, politische Interessen mit militärischen Mitteln durchzusetzen.
- Gleichzeitig geht die weltweite Aufrüstung zu Lasten der Ressourcen, die für die Bekämpfung von Armut, Ungerechtigkeit, Klimakrise u.a. zur Verfügung stehen.
Auch in Deutschland wird auf eine Politik der sog. „Kriegstüchtigkeit“gesetzt: Laut der mittelfristigen Finanzplanung der Bundesregierung soll sich der deutsche Verteidigungshaushalt bereits bis zum Ende dieser Legislaturperiode nahezu verdreifachen – auf 152 Milliarden Euro im Jahr. Das wären Stand heute die drittgrößten Rüstungsausgaben der Welt. Zugleich ist geplant, weite Bereiche der Gesellschaft – von Universitätsforschung über Krankenversorgung und Verkehrsinfrastruktur bis zur Energiegewinnung – dem Ziel der „Kriegstüchtigkeit“ unterzuordnen.
Während sich die Bundesregierung zum 5-Prozent-Ziel der NATO bekennt, sind im Bundeshaushalt 2025 gleichzeitig massive Kürzungen bei den Programmen im Bereich der Krisenprävention und Friedensförderung und den Mitteln für Humanitäre Hilfe vorgesehen. Der Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung soll um fast eine Milliarde Euro gekürzt werden. Damit streicht die Bundesregierung wichtige Investitionen in eine friedlichere, sicherere und kooperativere Welt mit fatalen Folgen vor allem für die Schwächeren, insbesondere für die Menschen im globalen Süden.
Demgegenüber halten wir fest: menschliche Sicherheit ist militärisch auf Dauer nicht zu erreichen. Die Zukunft der Menschheit entscheidet sich daran, ob es uns gelingt, Wege aus der Gewalt zu finden, Strukturen und Initiativen zur zivilen Beilegung von Konflikten zu schaffen und zu bewahren und aktive Versöhnungs- und Verständigungsarbeit zu leben.
Wir sehen es alsvordringliche politische Aufgaben an, die Dominanz des Militärischen zu überwinden, das Wettrüsten zu stoppen, zivile Antworten auf hybride Angriffe gegen Demokratien und Zivilgesellschaften zu entwickeln. Krisenprävention und Diplomatie sind zu stärken.
Eckpfeiler einer solchen glaubwürdigen Friedenspolitik sind:
- Rüstungskontrolle und Abrüstung:
80 Jahre nach den Atomabwürfen über Hiroshima und Nagasaki fordern wir konkrete Maßnahmen für ein weltweites Verbot von Atomwaffen. In einem ersten Schritt sollte sich die Bundesregierung in der NATO für einen Verzicht auf die Option eines nuklearen Erstschlags einsetzen. Es muss Ziel der deutschen Politik sein, Sicherheit und Risikoreduzierung durch neue verbindliche und weitreichende Rüstungskontroll- und Abrüstungsvereinbarungen zu erreichen. Dazu gehört die Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrags.
- Stärkung von Völkerrecht, internationalen Institutionen und Verträgen:
80 Jahre nach der Gründung der Vereinten Nationen fordern wir von Deutschland und der EU ein zweifelsfreies Bekenntnis zur UN-Charta und zum Völkerrecht. Alle Verstöße gegen das Völkerrecht und die Menschenrechte müssen ohne Doppelstandards angeprangert, Verantwortliche und Profiteure von Kriegsverbrechen konsequent sanktioniert und verfolgt werden. Schutznormen sind an digitale und autonome Technologieentwicklungen anzupassen. Es gilt die Institutionen der Vereinten Nationen zu stärken und ihre Weiterentwicklung zu unterstützen.
- Ausbau der internationalen Friedensdiplomatie und Zusammenarbeit für Vertrauen, Verständigung und Versöhnung:
80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges und 50 Jahre nach der ersten Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) fordern wir die politisch Verantwortlichen auf, sich für eine neue stabile zivile Friedens- und Sicherheitsordnung in Europa einzusetzen. Weiter bedarf es vertrauensbildender Maßnahmen und diplomatischer Initiativen für frühzeitige Konfliktbeilegungen.
- Zudem appellieren wir an die Bundespolitik und die EU, eine defensiv ausgerichtete Sicherheitspolitik, die substanzielle Stärkung von ziviler Friedensförderung und eine neue Form des Dialoges über Frieden und Sicherheit umzusetzen:
- Grundlagen jedes sicherheits- und verteidigungspolitischen Handelns in Deutschland und der EU müssen eine eindeutig defensive Ausrichtung, die Verpflichtung zur Einhaltung von internationalem Recht und die Verankerung in internationalen Strukturen sein.
- Die geplanten Mittelkürzungen im Bereich der Friedensförderung und internationalen Zusammenarbeit sind nicht hinnehmbar. Vielmehr muss sich die große Bedeutung ziviler Krisenprävention und internationaler Zusammenarbeit in der politischen Priorisierung widerspiegeln. Deutschland hat in den letzten 25 Jahren eine international anerkannte Infrastruktur für zivile Krisenprävention und Friedensförderung aufgebaut; sie muss ausgebaut und gestärkt werden.
- Die Diskussion über Krieg und Frieden in Deutschland ist vielfach bestimmt von Anfeindungen Andersdenkender, was die vorhandenen Gräben vertieft und eine breite Partizipation verhindert. Die Verunsicherung aufgrund der veränderten Weltlage wird von populistischen Akteuren, durch aufheizende Warnungen vor einem bevorstehenden Krieg aus verschiedenen politischen Milieus sowie die Erwartung an eine gesellschaftliche „Kriegstüchtigkeit“ politisch instrumentalisiert. Um die Friedensfähigkeit und Resilienz in unserer Gesellschaft zu stärken, müssen demokratische Konfliktbearbeitung und Programme der Friedensbildung ausgebaut werden. Es braucht einen faktenbasierten politischen Diskurs zu Fragen von Sicherheit und Frieden, der der Komplexität der Situation Rechnung trägt und Alternativen zum militärischen Handeln angemessen mit aufnimmt.
Die Mitgliedsorganisationen der AGDF leisten im In- und Ausland aktiv Beiträge zu internationaler Verständigung und zu gewaltfreier Konflikttransformation; sie unterstützen Initiativen für mehr Gerechtigkeit und Klimaschutz. Internationale Freiwilligendienste und der Zivile Friedensdienst fördern ziviles und demokratisches Handeln in Konflikten, sie sorgen für Begegnungen und andere Kontakte über Konfliktgrenzen hinweg und eröffnen Räume für Verständigung und den Aufbau von Vertrauen.
Die AGDF setzt sich aktiv für konstruktive und partizipative Diskussionen zu Sicherheitspolitik und Frieden ein. Dazu plant sie ein bundesweites Modellprojekt im Jahr 2026.
Hamburg, den 27. September 2025
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