Siegfried Eckert: Verleih uns Frieden gnädiglich

Ich bin ein Lutherfan. Ich finde diesen Kerl teuflisch gut, trotz seiner Schattenseiten. Was kann ein Mensch für seine zwiespältige Wirkungsgeschichte? Im Jubiläumsjahr seiner Reformation geistern viele Missverständnisse herum, die Luther nicht gerecht werden. Plumpes Bashing wie naive Heldenverehrung helfen nicht weiter. Diese Anmerkung mag genügen, um den Weg für Luthers prägnantestes Kirchenlied frei zu machen.

Nehmen wir diesen wilden Mann lieber beim Wort, anstatt über ihn zu reden. Martin Luther bediente im Winter 1528/29 die Friedenssehnsucht, die in jedem Menschen wohnt, mit einer Glaubensminiatur. Die Türken lagen vor Wien, verbreiteten Kriegsangst und Schrecken. Die Reformation stand nach ersten Erfolgen kurz vor dem Scheitern. In diese Zeit hinein wendet Luther sich seinem Choral zu, der auf den Punkt gebracht beides ist: Bitte um Frieden und Verheißung, dass Gott unser Sehnen erhören wird.

Für den Text hielt Luther sich streng an die lateinische Vorlage „Da pacem, Domine“. Doch der Zusatz „zu unsern Zeiten“ verdeutlicht, worum es Luther eigentlich ging. Der freie Christenmensch soll in die je konkrete Weltlage hinein singen: Gib Frieden, Herr, jetzt und hier! Auch in der Melodieauswahl gelang dem Reformator und Liederdichter ein Meisterstück, indem er seine Zeilen mit den Tönen des altkirchlichen Hym-nus „veni redemptor gentium“ unterlegte.

Wer zu Luthers Zeiten dieses Friedenslied sang, hörte auch seinen Choral „Nun komm, der Heiden Heiland“ zwischen den Zeilen mit. Diese raffinierte Verschmelzung von Text und Melodie mündet in ein klares Friedenscredo. Wer gibt uns Frieden? Du, unser Gott, alleine! Bitte und Verheißung, in so wenigen Worten und Tönen in Einklang zu bringen, ist schon ein Meisterstück.

Kein Wunder, dass dieses Liedchen durch alle Jahrhunderte hindurch in schweren Zeiten wie ein Hymnus gesungen wurde. Hin und wieder wurde es gar von staatlichen Herrschern als offizielles Friedensgebet „verordnet“. Denn bedauerlicherweise gehört zu Luthers Wirkungsgeschichte die fatale Nähe von Thron und Altar. Ohne landesherrliches Kirchenregiment hätte seine Reformation kaum eine  Chance auf Verwirklichung gehabt. In einer trumpisierten Welt, in der Europa schon zuvor an seiner Mauer gebaut hat, wird die Sehnsucht nach Frieden noch lauter.

Nicht oft genug können wir in unserer Sprach- und Ratlosigkeit Luthers Friedenscredo anstimmen: Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott, zu unsern Zeiten. Es ist doch ja kein anderer nicht, der für uns könnte streiten, denn du, unser Gott, allein.“ Dieses „solus deus“ umfängt alle vier ‚Solis‘ der Reformation. Luthers Liedzeilen sind ökumenisch anschlussfähig und interreligiös sing-bar. Außerdem: „Du unser Gott alleine“ klingt viel besser als „America first“!

Siegfried Eckert ist Gemeindepfarrer in Bonn, Buchautor und Vorsitzender der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Bonn